Geschichte

Erinnerungen an Königsberg

Am 28.10.1919 wurde ich in Königsberg/Pr. geboren. Mein Geburtshaus stand in der Straße „Neuer Graben“, Ecke Altstädtische Tränkgasse Der „Neue Graben“ zweigte von der Unterlaak ab und verlief knapp 1 km bis zur Lizentstraße bzw. Lastadie, einem Teil des Innenhafens. Die Altstädtische Tränke war eine Seitenstraße des „Neuen Grabens“ und verlief teilweise durch das Speicherviertel zum Hundegatt, ebenfalls ein Teil des Innenhafens.

An dieser Ecke besaßen wir ein Fleisch- und Wurstwarengeschäft (von meinem Großvater gegründet und von meinen Eltern weiter betrieben). Leider verstarb mein Vater, an den ich keine Erinnerung mehr habe, 1923.

Unweit dieser Straßen lag der frühere Lizentbahnhof, auch als „Pillauer Bahnhof“ bezeichnet.

Hier habe ich meine Kinder- und Jugendjahre verbracht. Auch meine Schulzeit begann hier, 1926 in der Kantschule. Es war ein größeres Gebäude, in dem noch die Walter Simon- Schule (für Knaben) und die Simon Dach- Schule, (für Mädchen) untergebracht waren.

Ein Erlebnis aus dieser Zeit am „Neuen Graben“ ist mir auch heute noch in ganz lebendiger Erinnerung geblieben. Unserem Haus gegenüber stand das „Zschocksche Stift“, zuletzt als eine Wohnstätte für unverheiratet gebliebene Töchter der Königsberger Kaufmannschaft genutzt. Dieses Haus hatte auf der Rückseite eine parkähnliche Anlage mit alten hohen Bäumen, vielen Sträuchern und Blumenbeeten, dazwischen Ruhebänke, umgeben von einer ca. 3 m hohen Steinmauer. Öfters hatten wir Gelegenheit, nach Geschäftsschluß diese Anlage aufzusuchen, um darin die langen schönen Sommerabende zu genießen.

Wir saßen auf den Bänken, die Verkehrsgeräusche- von der nicht weit entfernten Innenstadt – klangen allmählich ab, die Sonne verschwand hinter den Dächern der umliegenden Häuser. Es wurde sehr ruhig. Nur gelegentlich der kurze Pfiff einer Lokomotive vom nahen Lizentbahnhof unterbrach die abendliche Stille. Von der Turmuhr der nicht weit entfernten Neuroßgärter Kirche schlug die neunte Abendstunde, und unmittelbar danach erklang das Lied: „ Nun ruhen alle Wälder…“, gespielt von einer Bläservereinigung auf der Galerie des Schloßturms in alle vier Richtungen. In diesem Augenblick wurde es direkt feierlich, was ich auch heute nach 80 Jahren noch empfinde. Und an jedem Vormittag (11Uhr), ebenfalls vom Schloßturm am Kaiser-Wilhelm-Platz wurde der Choral gespielt: „ Ach bleib mit deiner Gnade bei uns…“.

Rudersport:

Ich gehörte dem Königsberger Schüler- Ruderverein an. Ende März eines jeden Jahres, nachdem die Eisschollen auf dem Pregel verschwunden waren, wurde das „Anrudern“ durchgeführt. Dazu schickten die Rudervereine ihre Boote an einen bestimmten Ort des Hafens. Dort wurde das „Anrudern“ offiziell eröffnet. Im Laufe des Jahres, an schönen Sonntagen haben wir Tagesausflüge unternommen. Während der Ferien machten wir auch mehrtägige Fahrten, z.B. nach Tilsit. 1936 nahm ich an einer großen Ruderfahrt zur Olympiade nach Berlin teil. Die Boote wurden von Königsberg mit der Eisenbahn nach Landsberg (Warthe) verladen. Von dort aus weiter auf dem Wasserweg über Küstrin, Frankfurt a. d. Oder, durch den Spreewald, Königs Wusterhausen nach Berlin-Grünau an die Olympia-Regatta-Strecke. Nach einer Woche ging es wieder zurück über Oranienburg, das Schiffshebewerk Niederfinow in die Oder stromab nach Stettin. Die Boote wurden dann wieder mit der Eisenbahn verladen, und wir fuhren mit dem „Seedienst Ostpreußen“ von Swinemünde nach Pillau/ Königsberg.

Im Jahre 1938 begannen meine Ausbildung und der Dienst bei der Deutschen Reichsbahn. Meine erste Dienststelle war die Güterabfertigung Königsberg (Pr.) Ost, gelegen am Ende der Sattlergasse/Friedrichsburgstraße. Am 01.09.1939 erhielt ich die Einberufung zum Wehrdienst, wurde jedoch bis auf weiteres zurückgestellt. Im Oktober 1940 erfolgte dann die endgültige Einberufung nach Prag. Im Zuge der Ausbildung wurden wir medizinisch untersucht für einen evtl. Einsatz in Nordafrika. Danach stellte man nach einer schweren Erkältung bei mir TBC fest. Ich wurde bis Juni 1941 in ein Lazarett im Sudetenland eingeliefert, kehrte anschließend nach Königsberg zurück und nahm meinen Dienst bei der Deutschen Reichsbahn wieder auf.

Bei dem Luftangriff im August 1944 wurde unser Wohnhaus in der Vorstädtischen Langgasse zerstört. Den Angriff selbst erlebte ich gegenüber im Luftschutzkeller der Dresdner Bank. Nach der Entwarnung versuchte ich meine Dienststelle auf kürzestem Weg zu erreichen, was aber durch den Feuersturm nicht möglich war. Da unser Haus nicht mehr vorhanden war, wohnten wir von nun an bei Verwandten auf den Vorderhufen im Rudauer Weg. Ostpreußen wurde durch die Rote Armee vom Reich getrennt und Königsberg zur Festung erklärt. Am 01.02.1945 erfolgte noch meine Einberufung zum Volkssturm. Am 08.04.1945 geriet ich in russische Gefangenschaft. Am 02.06.1945 kamen wir ins Gefangenensammellager nach Georgenburg (ehemaliges Gestüt). Dort erkrankte ich an Lungenentzündung mit anschließender Diphtherie. Auf Grund dieser Erkrankung wurde ich bereits im Oktober 1945 entlassen. So bin ich von Frankfurt/Oder nach Berlin gelangt.

Nach Meldung bei der dortigen Reichsbahndirektion wurde ich zur Reichsbahndirektion Erfurt überwiesen. 6 Monate verrichtete ich Dienst in Zella-Mehlis, einem Bahnhof zwischen Erfurt und Meiningen gelegen. Am 01.04.1946 wurde ich endgültig nach Erfurt versetzt. 1984 begann das Rentenalter. In Erfurt lebe ich heute noch.

© September 2009 Edwin Vetter

Anmerkung:

Bei der Gedenkfeier für die Opfer des britischen Bombenangriffs vom 29. August 1944 auf Königsberg zum 65. Jahrestag am 29. August 2009 zündete Edwin Vetter als ältester Teilnehmer im Königsberger Dom die Kerze an. Er starb am 14. März 2010.

In Königsberg bin ich geboren

In Königsberg bin ich geboren,
Nun steh’ ich draußen vor der Tür,
Das Heimatland, ging mir verloren,
Ich kriegt’ kein anderes dafür.

Wer weiß denn noch, wie es gewesen,
So wohlvertraut und täglich nah?
Heut’ kann man nur in Büchern lesen,
Was ich mit eignen Augen sah.

Ich sah die alten Pregelbrücken.
Sah Universität und Schloß,
Die Stadt voll Leben, ohne Lücken,
Das Land intakt und deutsch und groß.

Du bist für mich der Väter Erbe.
Der Mütter Ursprung bist du mir,
So bleibe ich, bis daß ich sterbe,
Dem Bernstein gleich, ein Stück von dir.

Es hat mich weit umhergetrieben,
Die Fremde wurd’ mir fast vertraut.
Doch wo mir stille Stunden blieben,
Hab’ immer ich dein Bild geschaut.

Das Land, das Meer, den Wald, die Sterne,
Sie liegen immer noch bereit.
In unerreichbar naher Ferne,
Wie meine eig’ne Jugendzeit.

Wohl stehen viele Türen offen.
Und Zuversicht erfüllt den Sinn,
Doch oft macht Sehnsucht mich betroffen.
Weil ich ein Königsberger bin.

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