Robert Motherby, der langjährige Freund Immanuel Kants, wurde am 23.12.1736 in Hull (Yorkshire, England) geboren. Er hatte vier Brüder und drei Schwestern. Sein Vater George (geb. 20.12.1688), verheiratet mit Anne Hotham, starb 1748, als Robert noch ein Kind war. Robert Motherby kam wohl um 1751 nach Königsberg. Der in Königsberg tätige englische Kaufmann Joseph Green (1727-1786) suchte einen zuverlässigen jungen Engländer als Gehilfen, der eines Tages sein Teilhaber werden sollte. Joseph Green, der wie Robert Motherby aus Hull stammte, war unverheiratet und kinderlos. Auf der Suche nach einem besonders pflichtbewussten jungen Mann hatte Green sich an einen in Hull ansässigen Geschäftsfreund gewandt, der ihm Robert Motherby empfahl. Robert Motherby, der ohne jegliche Deutschkenntnisse nach Königsberg kam, bewährte sich schnell und wurde Teilhaber Greens. Auf dessen Wunsch übernahm er die Firma schließlich vollständig und führte sie erfolgreich weiter.
Als junger Dozent verfügte Kant nur über ein geringes Einkommen. Er legte aber immer wieder kleinere Summen bei Green & Motherby an, die sein Vermögen gut verwalteten, so dass er später recht wohlhabend war. Kant, Green und Motherby waren nicht nur Geschäftspartner, sie wurden auch enge Freunde. Von dieser Freundschaft zeugt ein aus der Familie Motherby stammendes Champagnerglas mit aufschlussreicher Gravur:
Diese Gravur dokumentiert, dass sich Kant und Robert Motherby bereits im Jahr 1763 freundschaftlich verbunden waren. Ihre Freundschaft, die bis zu Robert Motherbys Lebensende (1801) währte, reicht demnach erheblich weiter zurück als von den meisten Kant-Biographen angenommen. Durch Vermittlung der Gesellschaft FREUNDE KANTS UND KÖNIGSBERGS e. V. befindet sich dieses Glas seit dem 26. Juli 2021 unter der Inventar-Nr. 8031/21 im Bestand des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg (https://www.ostpreussisches-landesmuseum.de).
Im Jahr 1767 heirateten Robert Motherby und Charlotte Toussaint (30.4.1742-10.9.1794). Charlotte war eine von mehreren Töchtern von Jean Claude Toussaint, (geb. 21.5.1709 in Magdeburg, gest. 23.12.1774 in Königsberg) und seiner Frau Catherine, geb. Fraissinet (geb. 1719 in Königsberg und gest. 21.10.1744 in Königsberg). Jean Claude Toussaint war Mitinhaber des Handelshauses Toussaint & Laval. Seine Eltern stammten aus Frankreich.
Robert und Charlotte Motherby hatten 11 Kinder (6 Söhne und 5 Töchter; ein Sohn und eine Tochter starben kurz nach der Geburt). Die vielen Wochenbetten griffen Charlottes Gesundheit stark an; sie starb 1794 im Alter von nur 52 Jahren.
Kant war bis ins hohe Alter ständiger Gast im Hause Motherby. Der Kant-Schüler und spätere Professoren-Kollege Kants, Karl Ludwig Pörschke (1752-1812), schrieb am 7.2.1798 an den Philosophen Johann Gottlieb Fichte: „Da Kant keine Vorlesungen mehr hält, sich von allen Gesellschaften, das Haus seines Freundes Motherby ausgenommen, zurückgezogen hat, so wird er allmählich auch hier unbekannt, selbst sein Ansehen wird geringer.”
Das sonntägliche Mittagessen im Hause Motherby war fester Bestandteil in Kants späterem Leben. Er sah die Motherby-Kinder aufwachsen und gehörte praktisch zur Familie. Robert Motherby lud ihn stets schriftlich ein; am Sonntagvormittag schickte er seinen Diener mit der Einladung zu Kant. Wenn Kant seinerseits Robert Motherby zum Mittagessen einlud, schickte er am Vormittag desselben Tages seinen Diener Lampe mit der Einladung zu ihm. Auf diese höfliche Geste legte Kant großen Wert; der Eingeladene sollte immer die Möglichkeit haben abzusagen. Auch in so alltäglichen Dingen waren Kant Rücksichtnahme und Respekt der Freiheit des anderen stets wichtig.
Im Jahre 1892 (also lange nach dem Tod Kants) beauftragte der Königsberger Bankier und Mäzen Walter Simon den Historienmaler Emil Doerstling mit einem Gemälde, das veranschaulichen sollte, wie Kant in seinem Haus als Gastgeber lebte. Nach einer Schrift von Christian Friedrich Reusch “Kant und seine Tischgenossen” aus dem Jahr 1847 hat Doerstling bekannte Königsberger Persönlichkeiten dargestellt, die häufig bei Kant eingeladen waren (darunter auch Robert Motherby, in dem Gemälde an der linken Seite Kants sitzend).
Im Museum des wieder aufgebauten Königsberger Doms in Kaliningerad hängt eine Kopie dieses Gemäldes.
Die Kinder von Robert und Charlotte Motherby genossen eine freisinnige Erziehung, an der Kant einen erheblichen Anteil hatte, und sprachen fließend deutsch, englisch und französisch. Kant wirkte darauf hin, dass zunächst George und später auch William und Joseph im Alter von 6 bis 13 Jahren das von ihm wegen seiner fortschrittlichen Lehrmethoden geschätzte Philantropinum in Dessau besuchten. Erhalten sind Kants Briefe vom 28.3.1776 an Christian Heinrich Wolke und vom 19.6.1776 an Johann Bernhard Basedow betreffend die Aufnahme von George Motherby (geb. 7.8.1770) in das Philantropinum.
Von ganz anderer Art, aber ebenfalls mit pädagogischer Zielsetzung, ist Kants Brief vom 11.2.1793 an die 20-jährige Elisabeth Motherby (27.4.1772 – 29.8.1807), eine der Töchter von Robert und Charlotte Motherby. Kant übersendet Elisabeth Briefe einer „kleinen Schwärmerin“, die sich aus Liebeskummer mit Selbstmordgedanken trug, mit einem Begleitschreiben, in dem er Elisabeth bescheinigt, „das Glück ihrer Erziehung“ mache die „Warnung vor solchen Verirrungen einer sublimierten Phantasie“ wohl entbehrlich, doch könne die Lektüre der beigefügten Briefe dazu dienen, „um dieses Glück desto lebhafter zu empfinden.“ Dass Kant sich zu einem solchen Rat berufen fühlte, zeigt, wie umfassend er seine Rolle als väterlicher Freund verstand.
Robert Motherby starb am 13.02.1801, fast auf den Tag genau drei Jahre vor Kant. Der Tod seines langjährigen Freundes war für Kant ein schmerzlicher Verlust.
Roberts Söhne George (1770 – 1799) und Joseph (1775 – 1820) traten in die Fußstapfen des Vaters und wurden ebenfalls Kaufleute; sie starben in jungen Jahren. Joseph hinterließ seine Frau Marie Thérèse und zwei Söhne, die später nach St. Petersburg gegangen sein sollen und von denen man nichts mehr gehört hat.
William Motherby (1776-1847) studierte Medizin in Königsberg und Jena. Um ihm in Jena einen guten Start zu verschaffen, schrieb Kant am 19. April 1797 an den Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland (Honorarprofessor an der Universität Jena):
„Ew: Wohlgebohren
werden hoffentlich meinen, durch Hrn. D. Friedländer in Berlin an Sie, mit der Danksagung für Ihr Geschenk des Buchs von der Lebensverlängerung abgelassenen, Brief erhalten haben. — Jetzt erbitte ich für den, welcher Ihnen den gegenwärtigen zu überreichen die Ehre hat, Hrn. Motherby, Gewogenheit und Freundschaft, einen von Engländischer Abkunft in Königsberg gebohrnen jungen Mann von großem Talent, vieler schon erworbnen Kentnis, festem Vorsatz und tugendhafter, dabey offener und menschenfreundlicher Denkungsart, wie sein Vater der engl. Negoziant allhier, von jedermann geachtet und geliebt und mein vieljähriger vertrauter Freund ist. — Was von mir und, was sonst auf unserer Universität in sein Fach (die Medizin) einschlagendes zu lernen war, hat er gründlich gelernt und so bitte ich ihm die mehrere und größere Hülfsqvellen für sein Studium auch Ihres Orts zu eröfnen; wobey er wegen des dazu erforderlichen Kostenaufwands nicht in Verlegenheit seyn wird.“
Christoph Wilhelm Hufeland am 30. September 1797 an Kant:
„Ew. Wohlgeboren
kann ich nicht beschreiben, wie sehr mich die zwey Briefe, womit Sie mich beehrt haben, erfreut haben, und ich würde dieß Gefühl nicht so lange haben zurückhalten können, wenn ichs nicht gethan hätte, um Ihnen zugleich etwas über den jungen Motherby, den Sie mir empfahlen, schreiben zu können. — Um so mehr freut es mich, daß ich Ihnen in Betreff seiner das Beste melden kann. Ich habe nicht leicht einen jungen Menschen gesehen, der mit so viel Lebhaftigkeit des Geistes solche Festigkeit, Wahrheit und Sittlichkeit des Karakters verbindet, und der mir in so kurzer Zeit so herzlich lieb und werth geworden wäre. Seine Aufführung ist untadelhaft, sein Fleiß unermüdet, und er gehört zu denen meiner Zuhörer, die mir wahre Aufmunterung und Belehrung in meinem Geschäfte sind. Ich habe nichts an ihm auszusetzen, als daß er zu selten zu mir kommt, und ich werde, um dieß mehr zu bewirken, ihn in mein Konversatorium und Disputatorium diesen Winter ziehen. Ueberhaupt verspreche ich Ihnen alles zu thun, so viel an mir liegt, um ihn zu einem brauchbaren und nüzlichen Bürger zu bilden.“
Im Jahr 1798 promovierte William Motherby in Edinburgh zum Doktor der Medizin und widmete seine Dissertation seinem väterlichen Freund und akademischen Lehrer Immanuel Kant, der dazu am 20. Dezember 1799 an den Arzt und Philosophen Johann Benjamin Erhard Folgendes schrieb:
„Was mich aber sehr freuet ist: daß sich zugleich HE William Motherby, der jetzt in Berlin seinen medicinischen Cursus macht, da ist; mit welchem ich bitte in Conversation zu treten; der eben so wie sein würdiger Vater mein vorzüglicher Freund, ein heiterer wohldenkender junger Mann ist. Dieser hat mir seine in Edimburg im vorigen Jahr gehaltene Inaugural-Disputation dedicirt (de Epilepsia) und ich bitte ihm dafür zu danken. — Rechtschaffenheit ist sein und seiner Familie angebohrner Character und es wird Ihnen, so wie ihm, ihr Umgang unterhaltend und erbaulich seyn.“
Dr. med. William Motherby führte in Königsberg die Kuhpockenimpfung ein und wurde ein angesehener, wenn auch nicht für alle geeigneter Arzt, wie ihm sein Freund Ernst August Hagen bescheinigte. Prof. Ernst August Hagen (1797 – 1880), Professor für Kunst- und Literaturgeschichte an der Albertina und Sohn des Königsberger Hofapothekers und Begründers der wissenschaftlichen Pharmazie Karl Gottfried Hagen (1749 –1829), in seiner Gedächtnisrede auf William Motherby:
„Obgleich sein schnelles Wesen, da er die Patienten mit ihren Klagen nicht zuende kommen ließ und ihnen ins Wort fallend sie eines Besseren bedeutete, ihn nicht für alle eignete, so waren doch die, die von ihm Rat und Hilfe begehrten, vollkommen mit ihm zufrieden und bewahrten ihr Vertrauen auf seine Geschicklichkeit bis zum letzten Lebenshauche. Sein Erscheinen galt nicht nur den Kranken, sondern dem ganzen Hause stets als ein Fest, und die treuherzige Teilnahme an allen Ereignissen desselben, die gute Laune, die stets in seinem Geleite war, die Sicherheit und Geistesgegenwart, mit der er dem erkannten Übel begegnete, sichert ihm bei vielen ein dankbares Andenken. … Kant gab viel auf sein gediegenes Wissen und stellte ihm darüber in einem Briefe an Soemmerling ein erfreuliches Ehrenzeugnis aus.
…
Wie oft er auch im Wissen hoch über den Tischfreunden stand und ihnen in geschickter Durchführung von Behauptungen stets überlegen war, so hat er sicher niemandem wehe getan und wer durch seine Erklärung nicht belehrt, wurde wenigstens niemals durch seinen Widerspruch unangenehm berührt.“
Christian Friedrich Reusch, der jüngere Sohn des Kant`schen Tischgenossen und Professors der Physik Karl Daniel Reusch, erwähnt 1847 in “Kant und seine Tischgenossen”, dass „Dr. med. William Motherby“ wöchentlich ein- bis zweimal Tischgast bei Kant war. Weiter schreibt er: „William war höchst begabt und liebenswürdig, von sprudelndem, treffendem Witze. Den Gefallen am Etymologisieren schien er von Kant zu haben. Seine Lebhaftigkeit und schnelles Auffassen aller Dinge machten ihn in jeder Gesellschaft beliebt, oft zum Mittelpunkt der Unterhaltung. Ein angesehener Staatsbeamter, aus einem anderen Orte, der ihn in einer Gesellschaft so geistreich sprechen hörte, äußerte sein größtes Gefallen, indem ihm seines Orts dergleichen nicht geboten werde. Die Einführung der Kuhpocken-Impfung suchte Motherby durch kleine Schriften zu befördern, wie er überhaupt das Talent besaß, wenn er es geltend gemacht hätte, durch lebhafte kurze Darstellung Volksschriftsteller zu werden.… Von Dr. med. William Motherby rührte die schöne Idee her, dass sich die Freunde Kants jährlich zu einem einfachen Mittagessen an seinem Geburtstage, dem 22. April, versammelten.“
William war ein großer Shakespeare-Verehrer und übersetzte im vorgerückten Alter “Die lustigen Weiber von Windsor”.
Zu Williams Freundeskreis zählten viele bekannte Persönlichkeiten. Neben Kant seien Wilhelm v. Humboldt, Freiherr v. Stein, der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt und der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel erwähnt, um nur einige zu nennen.
Ernst Moritz Arndt, ein Jugendfreund Williams, schreibt in „Meine Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiherrn Karl Friedrich vom Stein“ über seinen Aufenthalt bei William Motherby in Königsberg Anfang 1813:
„Bei meinem Freunde Motherby verlebte ich ähnliche, aber viel jugendlichere, rauscherige Abende als bei den Dohnas und Schrötters. Dies war ein edles, freies Bürgerhaus, ein vom englischen und Kantischen Geist durchwehtes Haus. Motherbys Vater war ein geborener Engländer aus Hull gewesen, Kaufmann in Königsberg, …., Freund und Tischgenosse Kants. Von dem Geist jenes Lebens hatten die Söhne des Huller Motherbys etwas abbekommen.”
William heiratete 1806 Johanna Tillheim (29.04.1783 – 22.08.1842).
William und Johanna hatten zwei Kinder: Anna (15.4.1807 – 5.1.1870), genannt Nancy, und Robert (4.4.1808 – 17.4.1861), der wie sein Vater Arzt und Landwirt wurde.
Williams Ehefrau Johanna Motherby (geb. Tillheim) kam als Tochter eines Königsberger Handwerkers aus eher bescheidenen Verhältnissen. Sie hatte, so ihr Biograph Heinrich Meisner 1893, eine „lebhafte frohe Art“ und eine “gefällige Weise in Wort und Bewegung”. Meisner schreibt weiter: „William war in den ersten Ehejahren durch seinen Beruf und seine Arbeiten für die Stadt sehr in Anspruch genommen, was wohl der Grund dafür war, dass sich die beiden auseinander lebten. Im April 1809 kam Humboldt als Geheimer Rat und Leiter der Sektion für Kultur und Unterricht nach Königsberg. Er wurde schnell ein gern gesehener Gast im Hause William Motherbys, mit dem er die Verehrung für die Kant’sche Philosophie und die Pädagogik Pestalozzis teilte. Bald gesellte sich zu der Freundschaft mit William Motherby eine innige Zuneigung zu Johanna. Nach seinem Abschied aus Königsberg folgte ein reger und leidenschaftlicher Briefwechsel, der erst 1813 abbrach, als Ernst Moritz Arndt in Johannas Leben trat.“ Ernst Moritz Arndt, der wie bereits erwähnt ein Jugendfreund Williams war, kam 1813 mit dem Freiherrn vom Stein nach Königsberg. Zwischen Ernst Moritz Arndt und Johanna Motherby entwickelte sich eine enge Beziehung, die ebenfalls in einem intensiven Briefwechsel dokumentiert ist („Briefe an Johanna Motherby“, herausgegeben 1893 von Heinrich Meisner im Brockhaus-Verlag Leipzig). Die freundschaftliche Verbindung bestand bis zum Tod Johannas (1842) und setzte sich auch zu deren Tochter Anna (genannt Nancy) fort, die er „Nimble“ nannte. Bekannt ist ein Gedicht für die kleine Anna vom 20.3.1813. Die lebenslange Freundschaft mit Anna übertrug Ernst Moritz Arndt auch auf deren Mann Louis Simon und dessen Mutter. Er wurde 1833 Pate des ersten Kindes von Anna und Louis, Wilhelm. Wilhelm Simon starb 1916 im Alter von 83 Jahren. Er galt als „eine der vornehmsten Erscheinungen aus der Zeit der deutschen Privatbahnen“. Als Gerichtsassessor war er in den preußischen Staatseisenbahndienst getreten. Nach mehreren Jahren im Handelsministerium war er viele Jahre Vorsitzender der Direktion der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft, bis sie 1884 verstaatlicht wurde, woraufhin ihm die geschäftsführende Verwaltung übertragen wurde. Ende der 1880er Jahre wurde er ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt und trat der nationalliberalen Fraktion bei.
Johann Christian Dieffenbach (geb. 1.2. 1792 in Königsberg, gest. 11.11.1847 in Berlin) wurde der zweite Ehemann Johannas. Er studierte vom Herbst 1814 bis Anfang 1820 Medizin an der Albertina und war häufiger Gast im Hause Motherby. Er verliebte sich leidenschaftlich in die 9 Jahre ältere Johanna, die seine Zuneigung erwiderte. Ein Ermittlungsverfahren wegen “demagogischer Umtriebe” (Gründung einer Burschenschaft) und seine Liebe zu der Ehefrau eines angesehenen Königsberger Arztes zwangen den inzwischen 28-jährigen Dieffenbach, Königsberg zu verlassen. Dank der Verbindung Johannas zu Wilhelm v. Humboldt konnte Dieffenbach 1823 in Berlin das Staatsexamen ablegen und sich dort als Arzt niederlassen. Seine Praxis blühte, er hatte Patienten aus aller Welt – Prominente und Arme – und wurde Begründer der plastischen Chirurgie an der Berliner Charité.
Im Jahr 1824 wurde die Ehe von Johanna und William geschieden. Johanna und Johann Christian Dieffenbach heirateten noch im selben Jahr. Dieffenbach schrieb damals an einen Freund: “Mein Weib ist nicht jung, nicht schön, nicht reich; aber eben weil ihr dieses alles abgeht, werdet ihr um so gewisser überzeugt sein, dass ich sie liebe. Dagegen besitzt sie einen so unendlichen Reichtum an Güte des Herzens, eine köstliche Bildung, also Güter, die nie zu verlieren sind.”
Die Ehe währte allerdings nur sieben Jahre. Dieffenbach ließ sich 1831 von Johanna scheiden und heiratete im selben Jahr wieder, diesmal eine Frau, die 27 Jahre jünger als Johanna war.
Nach ihrer Scheidung von Dieffenbach gründete Johanna mit ihrer Freundin Elisa von Ahlefeldt (geschiedene Ehefrau des Freikorpsführers Major von Lützow) einen Salon in Berlin, in dem viele bekannte Persönlichkeiten verkehrten. Sie starb am 22.8.1842 nach kurzer Krankheit.
William Motherby überlebte Johanna noch um einige Jahre, obwohl ihm seine Gesundheit zeitlebens zu schaffen machte. Er hat “oft dem Tode getrotzt” (so Prof. Ernst August Hagen in seiner Gedächtnisrede). Anders als Kant trank William Motherby „ein Glas Wein nur den Freunden zuliebe“. Er starb am 16.1.1847 bei klarem Bewusstsein im Alter von 70 Jahren in Königsberg. Die frühere Motherbystraße in Königsberg, heute Mladschewo Leijtenanta Roditelewa, wurde 1911 nach ihm benannt.
Wie sein Vater Robert war William Motherby ein großer Naturfreund. Prof. Ernst August Hagen in seiner Gedächtnisrede: „Mit größtem Geschmack legte er sich den Garten seiner Wohnung an, der jetzt der Loge zu den drei Kronen gehört, und brachte es dahin, dass die Schwäne auf dem Schlossteich heimisch wurden.“ Ab 1832 verließ William Königsberg während der Sommermonate (die Winter verbrachte er weiterhin in Königsberg) und bewirtschaftete das Gut Arnsberg mit großem Erfolg. Er wurde Direktor des Vereins zur Beförderung der Landwirtschaft in Preußen und schrieb zahlreiche landwirtschaftliche Aufsätze. Seine Arztpraxis gab er erst 1840 vollständig auf. In seinen letzten Lebensjahren verfasste er noch eine anthropologische/psychologische – dem Andenken Kants gewidmete – Schrift “Über die Temperamente”, die 1843 im Otto Wigand Verlag (Leipzig) erschien.
Zu der von William Motherby begründeten Gesellschaft der Freunde Kants gehörten auch Williams jüngere Brüder Robert (27.4.1781 – 1.8.1832) und John (16.9.1784 – 19.10.1813). Robert und William standen sich besonders nahe. Robert war zunächst Kaufmann, nicht aus Neigung, sondern auf Wunsch des Vaters. Anders als seinem Vater war ihm allerdings kein geschäftlicher Erfolg beschieden, aber er war ein hochgebildeter Mann und erntete später große Anerkennung als Sprachlehrer und Sprachwissenschaftler. Prof. Ernst August Hagen erwähnte in seiner Gedächtnisrede auf William Motherby, dass dessen Bruder Robert „Beharrlichkeit, Ausdauer, Wissbegierde, Fleiß, Feinfühligkeit, Redlichkeit, Humanität, Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit und Humor“ auszeichneten. Robert gab ein Wörterbuch des schottischen Dialekts heraus, es folgten die “Englischen Sprachübungen”, “Die wahre Geschichte von Romeo und Julia aus dem Italienischen des della Scala übersetzt”, “Über das Lernen und Lehren der neueren Sprachen mit untermischten Bemerkungen über Sprechen und Sprache überhaupt” sowie zahlreiche weitere Arbeiten, die ihm hohe Anerkennung verschafften. Die königliche deutsche Gesellschaft wählte ihn 1830 zu ihrem ordentlichen Mitglied. Im Sommer 1832 erkrankte er schwer und starb am 1.8.1832 auf einer Erholungsreise in Memel.
Der evangelische Theologe und Dichter Caesar von Lengerke beschrieb in seinem Nekrolog auf Robert Motherby in den Preussischen Provinzialblättern, in welcher Weise Robert durch sein Elternhaus geprägt war:
„Die erste häusliche Erziehung unter den Augen des kenntnisreichen und feinfühlenden Vaters mußte im vollsten Maaße geeignet sein, den Geist des Knaben bald zu rascherer Thätigkeit zu wecken und die Bildung seines Gemüthes zu fördern; aber auch die äußeren, gefälligen Verhältnisse des begüterten und angesehenen Kaufmannes, dessen Haus der feinen Sitte und geistreicher Geselligkeit gastfreundlich geöffnet war, der den Umgang der ausgezeichnetsten Männer jener Zeit, eines Kant und Hippel genoß, begünstigten schon die ersten Bemühungen um jene Ausbildung. Es sollte sich an unserem Robert aufs neue bewähren, daß die frühesten Eindrücke, welche wir im Vaterhause erfahren, als die bleibendsten für das ganze Leben zu achten sind. Das väterliche Ansehen ward in die reinste, zärtlichste Liebe versenkt, und so blieben auch die Wärme und Güte des kindlichen Herzens bewahrt. In einer durchaus gesitteten und ädlen Umgebung, in der das Zartgefühl des Kindes überall geschont blieb, wurde leicht der Sinn für Sitte und Humanität geweckt und bleibendes Eigenthum.“
Williams jüngster Bruder John (geb. 16.9.1784) war wie seine Brüder ein vielseitig gebildeter Mann. Im Anschluss an sein Jurastudium wanderte er zwei Jahre durch Deutschland und Europa bis nach Paris und Genua und wurde nach seiner Rückkehr Regierungsrat in Königsberg. Als Preußen am 17.5.1813 Frankreich den Krieg erklärte, meldete John Motherby sich freiwillig zur Königsberger Landwehr und kämpfte an der Seite der Russen gegen Napoleon. Er fiel am 19.10.1813 in Leipzig bei der Erstürmung des Grimmaischen Tores. Auf dem Alten Johannisfriedhof hinter dem Grassi-Museum in Leipzig erinnert noch heute ein Grabmal an ihn.
Quelle: https://geheimtipp-leipzig.de/postkarten-vom-denkmal-ii
Sein Freund, der aus Tilsit stammende Dichter Max v. Schenkendorf (1783-1817), hat ihn in folgendem Gedicht verewigt:
“Auf den Tod von John Motherby, Königl. Regierungsrath und Hauptmann der Königsberg`schen Landwehr 1813.
Ach! es ist ein Mann gesunken,
Einer aus der Treuen Schaar,
Den mit hellen Himmelsfunken
Jüngst entzündet dieses Jahr.
Wie ein Held auf seinem Schilde
Liegt er hier an Leipzigs Thor
Auf dem deutschen Lustgefilde,
Das zur Wahlstatt Gott erkor.
Sollen wir so bald dich missen?
Hauptmann, deine Compagnie
Will von keinem Andern wissen,
Und vergißt dich nun und nie.
Vaterhaus und Vatersitte
Und die Freiheit war dir werth,
Also hat ein freier Britte,
Hat dein Vater dich gelehrt.
Und die Kraft war dir gewachsen
In der Freiheit Morgenroth,
In dem schönen Lande Sachsen
Lohnte dich der Freiheitstod.
Wandeln wird die Heldenkunde
Nach der mütterlichen Stadt,
Die mit Gott und Recht im Bunde
Unsre Schaar gerüstet hat.
Hier im deutschen Boden senken
Neben Gellert wir dich ein;
Möchte Gott uns Allen schenken,
Deines Todes werth zu sein.”
© 2021 Marianne Motherby