Geschichte

In Corona-Zeiten: Immanuel Kant zur Dankbarkeit

Klaus-M. v. Keussler
Gründungsmitglied der Gesellschaft Freunde Kants und Königsbergs e.V. und ihr Bohnenkönig 2013

In den noch andauernden Corona-Zeiten wird vielerorts applaudiert, gesungen, auf Töpfe geschlagen und musiziert, um Dankbarkeit auszudrücken – gegenüber medizinischem Personal, MitarbeiterInnen in Supermärkten, LKW-Fahrern und Pflegekräften. Diese Dankbarkeit-Bezeugungen kommen verstärkt als Ausdruck eines Gefühls, eines bestimmten Sozialverhaltens, einer Charaktereigenschaft oder gar als eine Tugend daher.

Mit dem Phänomen der Dankbarkeit hat sich auch Immanuel Kant ausführlich auseinandergesetzt.
In seiner
Metaphysik der Sitten, 1797.
Zweiter Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre

werden Dankbarkeit ebenso wie Wohlergehen und Teilnehmung zu den „Tugendpflichten gegenüber anderen Menschen“ gezählt.

Kant unterstreicht, dass Dankbarkeit „eigentlich nicht Gegenliebe des Verpflichteten gegen den Wohltäter, sondern Achtung vor demselben“ sei. Mithin ist Dankbarkeit die „Verehrung“ einer Person wegen einer uns erwiesenen Wohltat. Eine Tugendpflicht sei Dankbarkeit – und nicht bloß eine „Klugheitsmaxime, durch Bezeugung meiner Verbindlichkeit, wegen der mir widerfahrenen Wohlthätigkeit, den Andren zu mehrerem Wohlthun zu bewegen (gratiarum actio est ad plus dandum invitatio).

Jeder, der Hilfe empfängt, ist – so Kant – zur Dankbarkeit aufgefordert, weil Dankbarkeit Pflicht ist, das heißt „… sie ist unmittelbare Nöthigung durchs moralische Gesetz“!

Nach Kant werden die „täthige“ von der „bloß affektionellen“ Dankbarkeit unterschieden. Die affektionelle Dankbarkeit ist ein „bloßes herzliches Wohlwollen des anderen, ohne physische Folgen“. Demgegenüber besteht die „täthige“ Dankbarkeit in konkreten „Dienstleistungen“ gegenüber dem „Wohltäter“ oder, sollte dieser bereits verstorben sein, gegenüber anderen. Allerdings steht im Verhältnis des Wohltäters zu den Danksagenden „ … der Verpflichtete um eine Stufe niedriger als sein Wohltäter“. Als Wohltäter darf man keine Dankbarkeit erwarten: „Anderen Menschen in Nöten“  zu helfen, „…ohne dafür etwas zu hoffen…“, sei Wesensgehalt der Wohltätigkeit.

Schließlich stellt Kant kategorisch fest:

Dankbarkeit ist „heilige Pflicht“. Den Begriff der „heiligen Pflicht“ spricht Kant bereits beiläufig in der Kritik der praktischen Vernunft (V35) und in der Religionsschrift (VI173) an.

In der Tugendlehre  führt Kant aus, dass die Verletzung einer heiligen Pflicht im Gegensatz zur Verletzung einer gemeinen Pflicht die „Vernichtung der moralischen Triebfeder zum Wohlthun in dem Grundsatze selbst…(als skandalöses Beispiel)“ zur Folge hat. Denn heilig ist derjenige moralische Gegenstand, „in Ansehung dessen die Verbindlichkeit durch keinen ihr gemäßen Act getilgt werden kann“… Alle andere ist gemeine Pflicht“.

Übrigens:

Wusste Immanuel Kant, dass der einflussreiche thüringische Theologe und Philosoph Meister Eckhart, von 1304 bis 1311 Prior des Erfurter Dominikanerklosters, die Dankbarkeit mit der Gebärfähigkeit einer Frau verglich und so den Begriff der „Dankbaerkeit” schuf? Wer – so Meister Eckhart – die Welt und sein Leben als ein Geschenk Gottes begreift, der will seine Freude darüber anderen mitteilen.

Erfurt im Juni 2020

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