Geschichte

Grusswort am 22. April 2021

Wenn schon Kant, dann die höchste Ehrlichkeit ohne intelligible Faulheit und ohne moralische Feigheit wie in Kants “Was ist Aufklaerung?” feststeht: “Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben”.

Wenn schon Kant, dann die höchste Ehrlichkeit als Anlass zur allerletzten Ehrlichkeit über die moderne Weltsituation, die im Aufklärungslicht Kants alle Symptome ihrer Ergriffenheit, wenn schon sogar nicht ihrer Besessenheit, von “toten Kräften” (siehe: Kants “Von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte”) zeigt und in die Dynamik des widernatürlichen Endes aller Dinge (siehe Kants “Das Ende aller Dinge”) geraten ist, was auch die Covid-Pandemie beweist. Die Entfremdungsdynamiken haben sich nicht nur zur militär-politischen, sondern auch zur biologisch-organischen Überlebensgrenze zugespitzt.

Es sei jedoch betont, dass Kant trotz seines Weltbürgertums vor allem ein deutscher Philosoph ist, kein Kung-tzu-Nachfolger wie in China, kein Sankhya-Denker wie in Indien, kein Sophiologie-Bekenner wie viele in Russland usw., obwohl Kant auf bewundernswerte Weise eine gewisse Verwandtschaft mit allen oben erwähnten Denksystemen zeigt und auch mit anderen Versuchen über die letzte Ehrlichkeit, wie z.B. mit David Chalmers “The Conscious Mind” (1996) oder mit Erwin Schroedingers “Mind and Matter”. Kant ist jedoch vor allem ein deutscher Philosoph und dadurch ein grosser Vorwurf für die große Kultur, die in den letzten Jahrzehnten eine unfassbare wider- und übernatuerliche Neigung zu einem erneuten Verlust des Vermögens der wahren Urteilskraft (siehe Kants “Kritik der Urteilskraft”) zeigt.

Ich darf dieses harte Wort, berechtigt durch das Recht der Liebe. Denn ich liebe Kant und ich liebe Deutschland, wo ich nicht nur in der Vergangenheit – Lessing, Goethe, Schiller, Hamann, E.T.A. Hoffmann u.a.-, sondern auch in der Gegenwart so viele Freunde gefunden habe, die “Freunde Kants” miteingeschlossen. Und die Liebe beruft zu einer besonderen Ehrlichkeit, die auch Kant in seinem Urteil über das radikale Böse in der menschlichen Natur (siehe Kants “Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft”) demonstriert, was sogar seine großen Zeitgenossen, z.B. Goethe und Schiller, empört hat. Als Kant-liebender Russe, der jedoch das weltbürgerliche Denken auf keinen Fall abweist, will ich uns alle in der dramatischen geopolitischen Dynamik daran erinnern, welche lebendige Kraft Deutschland von dem radikalen Bösen der toten Kraft des Hitlerfaschismus befreit hat trotz der internen Tragik in dem damaligen Sowjetrussland.

Das vorige Jahrhundert und die Gegenwart beweisen, was der weltbekannte Amerikaner Francis Fukuyama verkündet hat in seinem Traktat “The End of History and the Last Man” und zwar – die Geschichte sei zu Ende. Ist wahr, die Menschheit ist in eine schwer intelligibel fassbare Metageschichte eingetreten. Ich bin jedoch strikt gegen Fukuyamas “last man”, der seiner Schätzung nach so eine pseudo-naturdeterminierte Biomasse mit freudischen Merkmalen ist. Der Dichter Hölderlin hat einmal Kant als “Moses des deutschen Volkes” bezeichnet mit einer transparenten Anspielung auf dessen Versklavung durch berauschende Chimären des blinden Naturglaubens und durch den bewussten oder unbewussten Verrat an dem Gesetz der Freiheit.

Die modern Zivilisation ist irregeführt durch ihre dominierende Freiheitsvorstellung, basierend auf dem modernen selbstmörderischen Menschenverständnis, vor dem Kant immerwährend warnte. Kant ist eine realistische Alternative zu diesem selbstverschuldeten Selbstmord. Und wenn 2005 der russische Präsident Wladimir Putin den Erlass über die Begründung der Immanuel Kant-Universität in dem russischen Königsberg/Kaliningrad unterzeichnet, zeigt er bewusst oder unbewusst, dass Russlands Freiheitsvorstellung eine grosse Verwandtschaft mit Kant hat. D.h. Kant ist eine gute Alternative zu “last man” und zum ewigen Frieden auf dem Friedhof der Menschengattung. Und Kant bleibt eine ernüchternde lebendige Kraft für die europäische selbstkritische Urteilskraft im Suchen nach dem Weg zum wahren Völkerbund und ewigen Frieden. Ohne Russland aber, ohne strategische Partnerschaft mit Russland, zu der Russland immer offen ist, ist dieser Weg unmöglich.

© 2021 Wladimir Gilmanov

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