Afiche Neues Kaliningrad/Афиша Нового Калининграда versucht zu klären, was mit dem Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk geschieht – ob es von der lokalen Obrigkeit umgestaltet wird oder geschlossen, warum, wer was zu verantworten hat, was in der Stadt bleibt, wenn das Geschichtsmuseum in der heutigen Form aufhört zu existieren. Und die Hauptsache: Liegt es wirklich daran, dass der Betrieb zu viel Geld kostet, oder will die Obrigkeit auf diese Weise eine unbequeme Direktorin und ihre Leute hinauswerfen?
Am Rand des [Kaliningrader] Gebiets, an der Grenze zu Litauen, an der Luisenbrücke: Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk – was ist das eigentlich?
Vier Räume mit hohen Decken, mit Bogenfenstern und abgenutztem Parkett im Erdgeschoss eines Wohnhauses vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Genauer, im Erdgeschoss und einem Teil eines Anbaus. Durch das Fenster, das auf die ruhige Straße geht (buchstäblich zweihundert Meter entfernt ist die Staatsgrenze und der Grenzübergang auf der Königin-Luise-Brücke) sieht man drinnen Schaufensterpuppen in Kleidung aus der Zeit der Napoleonischen Kriege. Auf dem Hof verblühte Rosen, Osterglocken. Im Nachbarhof ist die Veranda eines Sommercafés, die typischen gelben Sonnenschirme über Tischen, an denen zwei Frauen Bier trinken. Es ist ziemlich still hier – wie sagte ein Schriftsteller: »provinzielle Stille, die nichts mit wahrer Ruhe zu tun hat«. Die Grenze befindet sich seitlich, das Museum geht auf eine Einbahnstraße hinaus. Gleich daneben eine heruntergekommene Bushaltestelle: Die örtlichen Bewohner klappern mit bunten Dutyfree-Tüten und warten auf den Bus – einen sauberen weißen Bus der Marke PAS, auf dem in Frakturbuchstaben »Arkada« geschrieben steht.
Vor dem Zweiten Weltkrieg war in dem Gebäude, wo sich jetzt das Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk befindet, ein Geschäft für Teppiche und Gardinen, in sowjetischer Zeit war hier ein Fleischladen und später ein Elektrogeschäft. Das Museum wurde 1987 als Außenstelle des Kaliningrader Museums für Geschichte und Kunst gegründet, in dieser Form existierte es bis 1999 und kam dann unter städtische Verwaltung.
»Ein Museum in der Perestroika-Zeit zu gründen, in der Provinz, am Rande des [Kaliningrader] Gebiets – das war harte Arbeit. Es war eine schwere, problematische Zeit, unter anderem auch in finanzieller Hinsicht. Aber die Stadtbevölkerung wünschte sich ein Museum. In unserem Archiv haben wir ein hochinteressantes Dokument – die Eingabe des Rats der Direktoren der Betriebe und Organisationen der Stadt Sowjetsk an die Räte der Arbeitskollektive, an die Bürger der Stadt mit der Bitte um finanzielle Unterstützung für die Fertigstellung der Restaurierung und die Eröffnung des Museums. In dieser Eingabe finden sich sehr wichtige Worte darüber, wie unverzichtbar die historische Erinnerung, wie unverzichtbar die Bewahrung des Erbes ist, und welche Rolle hierbei das Museum spielt. Heute ist das wohl nur schwer vorstellbar, aber damals halfen viele in finanzieller Hinsicht. Und im Jahr 1992 wurden die ersten beiden Räume des Museums eröffnet. In ihnen wurde die Ausstellung ›Aus der Geschichte Tilsits‹ gezeigt und eine künstlerische Ausstellung ›Stadtansichten‹, in der Bilder lokaler Künstler präsentiert wurden. Um 1993 richteten wir die nächsten beiden Räume her. Und damit existieren wir bis heute«, erzählt die Direktorin Anshelika Schpiljowa.
Vier Räume – das sind die 210 Quadratmeter, auf denen heute im zeitlichen Ablauf die Geschichte der Stadt erzählt wird: von den Ordensrittern über die Napoleonischen Kriege bis zur Zwischenkriegszeit. Eine eigenartige Geschichte der Niederlagen, Siege, kollektiven Traumata (das kann jeder halten, wie er will). Der zerschlissene Samt eines Königsgewandes, Rost und Einschlaglöcher von Kugeln in Ladenschildern, Steine und Scherben aus Ausgrabungen, Flaschen von Vorkriegs-Limonade und Mineralwasser, angelaufenes Tafelsilber, weißes Porzellan aus einem unvollständigen Service, der dicke Karton der Postkarten mit den schwarz-weißen Schauspieler-Gesichtern des Tilsiter Theaters; der verblasste Glanz eines Stalinporträts, die Grabesblässe der Totenmaske eines bekannten deutschen Dichters. Sowjetische Schallplatten, Plakate des Sowjetsker Dramatischen Theaters, Übersichtspläne zur Umbenennung der Straßen, alte Möbel, Orden und Medaillen, Frontbriefe, ein Grammophon, eine winzige Gitarre, ausgetretene Galoschen, ein Kleid nach der Mode der ersten Nachkriegsjahre, geblümt und so dünn, dass es vom Anschauen zu zerreißen scheint. Karikaturen und Lithografien. Tilsiter Käse, Tilsiter Frieden, Tag des Sieges. Vitrine an Vitrine, auf engstem Raum.
Praktisch können wir über jede Stadt des Kaliningrader Gebiets mit dem Bild des Palimpsestes – jener schichtweisen Überlagerung visueller Informationen – von der Alltäglichkeit sprechen, die nicht nur fixiert, sondern auch reflektiert werden muss. Und Sowjetsk ist hier keine Ausnahme. Hier besteht das »Deutsche«, das »Sowjetische« und das »Postsowjetische« in paradoxer Weise nebeneinander: Da haben wir einen Bau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, aus rotem Backstein mit altem Dachziegel, Stuckdecken, Sprossenfenstern, direkt darangebaut ein Plattenbau der Chrustschow-Zeit. Hier diese grob betonierte (oder nur mit Zement zugeschmierte) Fuge – als Grenze ist sie die Metapher für die klare Teilung der Zeit in das Vorher und Nachher. Hier haben wir eine ehemalige evangelische Kirche, die an die ROK [die Russische orthodoxe Kirche] übergeben wurde: Im Erdgeschoss ein Fleischverkaufsstand und ein Café mit billigem Alkohol.
Hier haben wir die Smolensker Straße mit dem halblegalen Straßenmarkt. Es gibt hier ein historisches Gebäude mit einer Marmortafel, die darauf hinweist, dass in dieser Straße der deutsche Dichter und Schriftsteller Johannes Bobrowski gelebt hat (man vergaß, oder der Platz reichte nicht aus, zu erwähnen, dass er ein anerkannter antifaschistischer Schriftsteller war). Und hier haben wir die restaurierte Straße des Sieges, die einzige Fußgängerzone der Stadt, und dort gibt es an einem der Vorkriegshäuser eine weitere Gedenktafel – bereits aus der heutigen Welt, für den Ehrenbürger der Stadt Sowjetsk, den Abgeordneten der Kaliningrader Gebietsduma Wadim Abarjus, die an demselben Tag eingeweiht wurde wie das Denkmal für die Tilsiter Straßenbahn. Man sieht, für jeden findet sich hier ein Plätzchen.
»Wenn sie irgendetwas nicht versteht, bekommt sie es einfach erklärt«: Wer ist für das Museum verantwortlich?
Anshelika Schpiljowa, die Direktorin des Museums der Geschichte der Stadt Sowjetsk, lacht, wenn sie von sich erzählt: »In solchen Momenten ist es üblich zu sagen, dass jemand eine demonstrativ-vorbildliche Berufslaufbahn vorweisen kann. Wahrscheinlich ist es auch so: Ich kam im Jahr 1989 zum Museum, wurde als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt, und 2010 wurde ich schon Direktorin des Museums.« 1993 absolvierte Anshelika Schpiljowa die Russländische Geisteswissenschaftliche Universität [in Moskau] im Fach Museologie und Denkmalschutz. Ihrer Qualifikation nach ist sie Historikerin und Museologin, was nicht nur in Sowjetsk selten ist, sondern auch in Kaliningrad. Der Titel ihrer Diplomarbeit lautet Die Geschichte der Stadt Tilsit in musealer Darstellung.
Gegenwärtig hat das Museum fünf Mitarbeiterstellen. Im Jahr ist der Unterhalt der Institution für das städtische Budget mit 2,6 Mio. Rubel beziffert. Das umfasst sowohl die Personalkosten als auch die Gebäudekosten. »Wir optimieren und optimieren. Wir haben schon keine Aufsichtskraft mehr, die Buchhaltung macht ein Externer, der sonst in der Stadtbücherei arbeitet. Und doch gelingt es nicht nur zu überleben, sondern auch Einnahmen zu generieren und Drittmittel einzuwerben, Projektmittel zu bekommen«, erzählt Schpiljowa. Sie erzählt auch davon, dass das Museum, als es im Jahr 1999 seinen Status änderte und städtisch wurde, alle Exponate, die im Laufe von zwölf Jahren gesammelt worden waren, verlor – alles ging ins Depot des Kaliningrader Gebietsmuseum für Kunst und Geschichte. »Wir mussten die Sammlung von Null an neu beginnen. Und mit der Zeit haben wir sehr bedeutende Exponate erworben. Da ist die Totenmaske des Dichters Johannes Bobrowski – eine von zwei existierenden, die zweite ist in Berlin – Manuskripte des Dichters, das UdSSR-Wappen, das die Brücke an der Grenze der Litauischen Sowjetrepublik krönte, Kleinplastiken. Unsere Sammlung wächst durch Schenkungen, unter anderem von Bewohnern der Stadt und bisweilen auch durch Ankäufe. Durch den Verkauf der Eintrittskarten haben wir – wenn auch bescheidene – Einnahmen. Im vergangenen Jahr hatten wir 10.000 Besucher. Und das waren nicht nur Touristengruppen, sondern auch gezielte Fachbesucher: Zum Beispiel besuchte uns eine Gruppe von Historikern, die sich mit Napoleon beschäftigten. Und sie waren begeistert von unserer Ausstellung.«
Mit dieser demonstrativ-vorbildlichen Berufslaufbahn vertragen sich nur schlecht die notorischen Skandale der letzten Jahre. Zum Beispiel bedrängten im vergangenen Jahr die Repräsentanten der Stadtverwaltung von Sowjetsk Anshelika Schpiljowa, von sich aus zu kündigen, und drohten im Falle der Weigerung mit dem »Extremismus-Paragraphen«. Anlass für diesen Skandal war die Ausstellung Johannes Bobrowski. Leben und Werk zum hundertsten Geburtstag des Dichters. In der Ausstellung war auf einer Infotafel eine Fotografie mit Johannes Bobrowski in Wehrmachtsuniform zu sehen. Die Obrigkeit kümmerte sich nicht um die Feinheiten von Faschismus und Antifaschismus. Oleg Waschurin, Leiter der Abteilung für Kultur, Tourismus und Jugend, bekannte freimütig, als er diese Infotafel sah, sei ihm der kalte Schweiß den Rücken hinuntergelaufen. Und er brachte in Erinnerung: »Vor fünf Jahren war die Weltlage noch eine ganz andere: Wir konnten ins Ausland mit dem Georgsbändchen geschmückt fahren, jetzt aber können wir nach eben jenem Litauen nicht ausreisen. Machen Sie sich ein Georgsbändchen an das Auto und versuchen Sie auszureisen – gleich bekommen Sie Probleme an der Grenze. Hab ich nicht recht? Sie hatten keine Probleme? Da haben Sie aber Glück gehabt.« Und er erklärte, wenn die Direktorin »irgendetwas nicht versteht, dann bekommt sie es erklärt«. Als sich Massenmedien, Anwälte und Menschenrechtler einschalteten, löste sich die Kündigungsdrohung in Luft auf, und das gegen die Museumsdirektorin angestrengte Disziplinarverfahren wurde nach einiger Zeit fallen gelassen.
Ein Jahr später, im Frühjahr 2018, geriet Anshelika Schpiljowa in den Fokus der Aufmerksamkeit von Journalisten des Staatlichen Fernsehkanals. Am 1. Mai wurde auf der Website des staatlichen Fernsehkanals »Kaliningrad« eine Geschichte über den geschäftsführenden Leiter des Litauischen Konsulats in Sowjetsk, Bronjus Makauskas, gebracht. In der Reportage wird Makauskas als »diplomatischer Rüpel« dargestellt. Grundlage der Reportage waren Aufnahmen einer Videoüberwachung auf der Straße sowie im Restaurant »Rossija«, wo am 16. Februar eine offizielle Feierlichkeit anlässlich des hundertsten Jahrestags der Unabhängigkeit Litauens stattfand. In der Reportage heißt es, der litauische Diplomat habe sich in alkoholisiertem Zustand ans Steuer gesetzt. Mit ihm im Auto saß Anshelika Schpiljowa. Der Autor der Reportage wies darauf hin, dass »zahlreiche Ausstellungen des Museums vom Konsulat gefördert werden«. Einige Ausstellungen werden darüber hinaus als »zweifelhaft« bezeichnet, da in ihnen die sowjetischen Soldaten der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges als »seelenlose Eroberer« präsentiert sind. Makauskas bezeichnete die Reportage des staatlichen Kanals als Provokation und »politische Auftragsarbeit«. Anshelika Schpiljowa qualifizierte die Geschichte als Propaganda, als »Geschichte für Idioten«. Die Obrigkeit der Stadt Sowjetsk enthielt sich eines Kommentars.
»Erst beschließen sie etwas und dann verstecken sie sich«: Was geschieht jetzt mit dem Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk?
Die Nachricht, dass erste Schritte zur Liquidation des Museums unternommen wurden, erschien auf der Website der Stadtverwaltung am Freitagabend letzter Woche [d. i. am 22.6.2018]. Ironischerweise an eben dem Tag, an dem ganz Russland den »Tag des Gedenkens und der Trauer«, den Beginn des Großen Vaterländischen Krieges beging und an dem man sich in Kaliningrad und im ganzen Gebiet friedlich anschaute, wie im neuen Kaliningrader Stadion die Mannschaft Serbiens gegen die Mannschaft der Schweiz spielt.
»Wissen Sie, was der Ausdruck ›in aller Stille‹ bedeutet? Für mich kam diese Entscheidung völlig unerwartet«,
erzählt Anshelika Schpiljowa. Der Erlass über die Liquidation wurde dem Museum am Freitag gegen Dienstschluss zugestellt. Der im dem Dokument angegebene Grund für die Liquidation lautet: Optimierung der Ausgaben aus dem städtischen Haushalt. Unterzeichnet hat den Beschluss A. N. Burych, der in dem Dokument als geschäftsführender Leiter der Stadtverwaltung von Sowjetsk bezeichnet wird, obwohl seine Funktion auf der offiziellen Website anders lautet, nämlich stellvertretender Leiter der Verwaltung für städtische Infrastruktur und Wohnungswirtschaft. Unter den Mitgliedern der Liquidationskommission findet sich unter anderen auch Oleg Waschurin, der Leiter des Kulturamts.
»Das ist offenbar so ein neuer schöner Service, ganz kundenorientiert: Ich bekam einen Anruf aus der Stadtverwaltung, man sagte, der Erlass zur Liquidation des Museums sei fertig und sie würden mir das Papier gleich ins Büro bringen, denn draußen regnete es gerade sehr stark. Ich könne dann gleich mit meinen Mitarbeitern die Kündigungsschreiben aufsetzen, und wir würden in allernächster Zeit die Abfindungen bekommen. Was soll ich da sagen – das war eine Überraschung für mich und für meine Kollegen.
Das war schon deshalb umso überraschender, weil wir vor einiger Zeit vor dem Stadtrat Rechenschaft über die Museumsarbeit im vergangenen Jahr abgelegt haben, und unsere Tätigkeit als sehr effektiv beurteilt wurde. Aber ich hatte für diese Gelegenheit einen technischen Bericht über den Zustand unserer Räumlichkeiten vorbereitet und lenkte die Aufmerksamkeit des Stadtrates auf die Tatsache, dass deren Zustand keiner Kritik standhält. Wir müssen renovieren und etwas für das Raumklima tun … Oder noch besser wäre es, einen Standort mit mehr Platz zu bekommen, an dem wir unsere einzigartigen Exponate angemessen präsentieren und die Geschichte der Stadt im nötigen Maßstab erzählen können, nicht auf 200 Quadratmetern. Der Rat beschloss, man werde sich an die Verwaltung mit der Bitte um einen neuen Standort für das Museum wenden. Aber bisher ist das, wie Sie verstehen werden, nicht gelungen.«
Anshelika Schpiljowa führt uns durch die Ausstellung.
Im vorletzten Winter gab es in der Wohnung über dem Museum einen Rohrbruch der Zentralheizung und ein Ausstellungsraum wurde mit kochendem Wasser überschwemmt. Schpiljowa erzählt, dass kurz nach diesem Unfall der Gouverneur des [Kaliningrader] Gebietes während eines Besuchs in Sowjetsk auch ins Museum kam.
»Das war ohne Voranmeldung, sie kamen einfach von der Straße herein. Ich wurde ihm noch nicht einmal richtig vorgestellt. Als ich sagte, dass wir einen neuen Standort brauchen, versprach er, sich darum zu kümmern«, erzählt Schpiljowa und fährt fort:
»Nach der Überreichung des Liquidations-Erlasses rief mich an demselben Tag noch Oleg Waschurin an und bat mich, zu einem persönlichen Gespräch zu ihm zu kommen. Ich weigerte mich hinzugehen und sagte, es regne wirklich sehr stark. Da kam er selbst zu mir und fing an zu schwören, dass das nicht seine Idee war, dass der Beschluss hinter seinem Rücken gefasst wurde, dass er kategorisch dagegen sei und alles tun werde, um unser Museum zu erhalten. Ich antwortete ihm, dass ich ihm kein Wort glaube, dass sein Name auf der Liste der Liquidations-Kommission steht und dass er so oder so in die Geschichte eingeht als einer, der beteiligt war an der Vernichtung des einzigen Museums in der zweitgrößten Stadt des Kaliningrader Gebietes. Er redete weiter davon, dass er damit nichts zu tun habe und dass es gar nicht darum gehe, ob es der Stadt am Geld für den Betrieb des Museums fehlt, sondern dass der Stadt unsere aktive internationale Kooperation nicht gefällt. Am Rande bemerkt: Die internationalen Kulturkontakte sind noch nicht vollständig abschafft.«
Was die wichtigsten Partner des Museums betrifft, so sind das die Kaliningrader Museen »Friedländer Tor«, das Kunstmuseum und das Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst. Unter den Sponsoren und Förderern gibt es unter anderen die Stadtgemeinschaft Tilsit in Kiel in Deutschland und Privatpersonen wie den deutschen Schauspieler Armin Müller-Stahl, der ein gebürtiger Tilsiter ist.
Oleg Waschurin hat in der Verwaltung der Stadt Sowjetsk die Leitung der Abteilung für Kultur, Jugend und Tourismus inne. Er ist ein recht stattlicher junger Mann, der mit sichtlichem Vergnügen in den Kulturhäusern der Städte des Gebiets als Sänger von Chansons und Autorenliedern auftritt. Üblicherweise finden solche Auftritte zu den staatlichen Feiertagen statt, z. B. zum Internationalen Frauentag. Oleg Waschurin weigerte sich, mit der Redaktion des Neuen Kaliningrad zu sprechen, sagte, er gebe keine Kommentare ab, und empfahl, in der Rechtsabteilung anzurufen, »die kann Ihnen alles erklären.« Auf die Frage, warum er als Leiter der Behörde, der das Museum unterstellt ist, die Situation nicht kommentieren wolle, sagte Waschurin: »Das ist eine Einrichtung, die mir unterstellt ist, aber den Beschluss hat der Chef der Stadtverwaltung gefasst, und diesen Beschluss werde ich nicht kommentieren. Er ist ohne meine Beteiligung gefasst worden, und ich bin nicht mit ihm einverstanden.« Die Leiterin der Rechtsabteilung Iraida Pawlowna Babuschkina sagte, sie werde nichts kommentieren und ergänzte: »Erst beschließen sie etwas und dann verstecken sie sich hinter meinem Rücken, das gefällt mir nicht.« Einen Kommentar vom Chef der Stadtverwaltung Nikolai Woistschew konnte die Redaktion des Neuen Kaliningrad bisher nicht bekommen.
Am vergangenen Montagabend [25.6.2018] verschickte die Stadtverwaltung von Sowjetsk ein offizielles Schreiben folgenden Inhalts:
»Im Zusammenhang mit diversen Interpretationen in den Massenmedien zur Situation des Museums der Stadt Sowjetsk möchte ich Ihnen folgende maximal detaillierte Erklärung abgeben: Die Stadtverwaltung von Sowjetsk unternimmt seit Anfang 2016 aktive Anstrengungen zur Optimierung ihrer Ausgaben. Seitdem hat z.B. die Bildungsabteilung der Stadtverwaltung sich mit der Optimierung der städtischen Bildungseinrichtungen und Sportstätten beschäftigt. Jetzt werden aktive Anstrengungen zur Optimierung der Kulturverwaltung und der ihr unterstellten Einrichtungen unternommen. Um im Verlauf der Optimierung die Beschäftigten an vorderster Front – die Bibliothekare, Methodiker und Leiter von Gruppen und Zirkeln – zu schonen, werden diejenigen Kultureinrichtungen optimiert, deren Funktionen von anderen Einrichtung oder von der Kulturabteilung der Stadtverwaltung selbst übernommen werden können. In diesem Fall reduzieren wir die Ausgaben für Buchhaltung und für Steuern und optimieren Verwaltungsausgaben. Ich möchte nochmals betonen, dass die Liquidation der Körperschaft ›Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk‹ lediglich die Liquidation einer einzelnen Körperschaft ist, nicht aber des Museums. Alle Mitarbeiter des Museums werden wieder Arbeit erhalten, die Bestände des Museums werden anderen Kultureinrichtungen zugeführt, und das Museum als Ort, wo man Ausstellungen betrachten kann, wird seine Arbeit fortsetzen.«
Das offizielle Schreiben war unterzeichnet von Aleksandr Burych, und hier ist auch die richtige Bezeichnung seiner Dienstfunktion angeführt: Stellvertretender Leiter der Verwaltung für städtische Infrastruktur und Wohnungswirtschaft. Auf Nachfragen, zum Beispiel, in welche Zuständigkeit das Museum kommen wird, warum der Beschluss jetzt gefasst wurde, und schließlich warum der Erlass mit der Unterschrift nicht der Kulturverwaltung, sondern der Wohnungswirtschaft versehen ist, verweigerte Aleksandr Nikolajewitsch die Antwort. Er brüllte in den Telefonhörer, er müsse jetzt zu einer Sitzung, und wenn irgendwer in der offiziellen Erklärung noch etwas nicht verstanden habe, sei das nicht sein Problem
»Ich weiß nicht, ob das gut ist oder schlecht«: Was man in Kaliningrad spricht
Der Minister für Kultur und Tourismus [des Kaliningrader Gebiets] Andrei Jermak teilte mit, er sei über die Situation des Museums auf dem Laufenden. Seiner Meinung nach drohe dem Museum »nichts Schlimmes«.
»Ein prinzipieller Punkt ist der, dass dieses Museum städtisch ist und dass die Stadt die Verantwortung dafür trägt. Sobald wir uns da mit irgendwelchen Korrekturen einmischen, zieht das gleich meinerseits eine Überschreitung der dienstlichen Befugnisse nach sich, Strafgesetzbuch der Russländischen Föderation und so weiter. Ich werde meine Befugnisse nicht überschreiten, aber ich behalte die Situation unter Kontrolle. Als ich mich mit Nikolai Nikolajewitsch Woistschew unterhielt, sagte er mir, dass das Museum nicht liquidiert wird, sondern dass es einen Wechsel in der organisatorischen und juristischen Form als Körperschaft gibt, wonach das Museum weiter bestehen wird. Ich sagte, wenn es Schwierigkeiten mit der Finanzierung gibt, dann ist das kein Problem, wir sind bereit, das Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk zu einer Zweigstelle des Gebietsmuseums für Geschichte und Kunst zu machen, wie das ja auch schon vor vielen Jahren war. Er versprach sich das zu überlegen und fügte an, er habe nicht vor, irgendetwas zu zerstören. Ich weiß nicht, ob das gut ist oder schlecht. Das ist ihre Idee, das Museum der Bücherei anzugliedern oder doch nicht der Bücherei. Die These von Woistschew ist einfach: Das Museum bleibt bestehen, nur in anderer Form«, präzisierte Jermak.
Die Frage, an welche Einrichtung das Museum nun übertragen werden soll – an die Bücherei oder an das Touristische Informationszentrum – konnte der Minister nicht beantworten. Was die mögliche Überführung des Museums in die Zuständigkeit des Gebietsmuseums für Geschichte und Kunst betrifft, ist das auch keine ganz durchsichtige Geschichte: Beim letzten Mal, in einer genau umgekehrten Situation, verlor das Museum der Geschichte der Stadt Sowjetsk seine gesamten Bestände. Nach Meinung vieler Kaliningrader Museumsleute gibt es nur einen einzigen richtigen Ausweg aus dieser Geschichte: Das Museum als unabhängige einheitliche Einrichtung muss in der Stadt bleiben.
So nennt beispielsweise Aleksandra Makarewitsch, Ausstellungskuratorin und Mitarbeiterin des Museums»Friedländer Tor«, das Geschehene ein Verbrechen.
»Das Museum in Sowjetsk ist eine obligatorische städtische Einrichtung. Da können Sie jeden Reiseleiter und Fremdenführer fragen. Warum sollte man nach Sowjetsk (Tilsit) fahren, wenn es da kein anständiges Museum mit einer interessanten Sammlung gibt?! Das war ein markanter Punkt auf der Reiseroute. Und die Meinung der Bewohner will auch niemand zur Kenntnis nehmen?!
In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Kultur das Fundament, auf dem die gesellschaftlichen Verhältnisse basieren. Das zeigt sich unter anderem auch in der Kommunikation, im Miteinander der unterschiedlichen Generationen, der unterschiedlichen Ethnien, der unterschiedlichen Nationalitäten und der unterschiedlichen Anschauungen. Gerade die Kultur hat die Eigenschaft und die Fähigkeit zu vereinen, zu vergleichen, zu erklären, ›ohne die Fassung zu verlieren‹, und die angemessenen Methoden und Formen der Vermittlung zu finden. Die Kultur macht uns besser, gütiger und gesellschaftlich aktiver. Das Museum als kulturelles Phänomen unterstützt dieses Prinzip grundsätzlich!
Und die Sammlung des Museums in Sowjetsk?! Das ist völlig unglaublich. Das Museum verfügt über wirklich seltene Objekte, die kulturelle und historische Bedeutung haben, und die unbedingt in Museumsräumen ausgestellt werden müssen – nach allen üblichen Regeln (Ausstattung, Beleuchtung, Luftfeuchtigkeit und Temperatur, Bewachung u.s.f.). Nicht jedes Stadtmuseum kann sich mit solch einer Sammlung brüsten. Außerdem wurden viele Exponate von Förderern und Privatsammlern speziell an das Museum gespendet und nicht an ein Tourismuszentrum oder eine Bücherei. Das ist der Bruch aller möglichen Vereinbarungen. Und noch etwas. Die Kultur und der Tourismus haben unterschiedliche Ziele und Aufgaben. Ein Museum kann man nicht einem Tourismuszentrum angliedern. Und einer Bücherei auch nicht.«
Der Rechtsanwalt Aleksandr Dobralski, der an der Lösung des Konflikts im vergangenen Jahr beteiligt war, hat gemeinsam mit Anshelika Schpiljowa beim Gericht Anzeige erstattet und bezeichnet das Geschehene seitens der Verwaltung nicht als ökonomische Entscheidung, sondern als Entscheidung nach der politischen Konjunktur.
»Als Rechtsanwalt sehe ich keine Grundlage dafür, das Museum als Einrichtung zu liquidieren, also als Körperschaft. Dass die Stadtverwaltung von Sowjetsk kein Geld für den Betrieb des Museums hat, ist meines Erachtens keine Grundlage. Nehmen wir an, Sie haben kein Geld für den Erhalt und die Reparatur der Straßen, dann werden Sie doch nicht die Behörde schließen, die sich mit diesen Dingen befasst, und noch weniger werden Sie sie in die Zuständigkeit einer anderen Behörde überführen. Ich sehe in all dem einen verdeckten Kleinkrieg, der zum Ziel hat, die Museumsbelegschaft mit Anshelika Schpiljowa an der Spitze zu liquidieren und ein Museum zu bekommen, das vollständig gemäß den Interessen Waschurins, Woistschews und anderer Leute aufgestellt ist. Eine Plattform wie zum Beispiel ein Freilichtmuseum der Militärtechnik – das entspricht ihren Interessen.
Mancher wird sagen, das sei ein ziemlich komplizierter Weg und es sei vielleicht viel einfacher, die Direktorin einfach zu entlassen, indem man einfach ihren Vertrag nicht verlängert. Aber es ist überhaupt nicht so einfach, im Rahmen des geltenden Arbeitsrechts einen Mitarbeiter zu entlassen. Und der Fall Anshelika Schpiljowas zeigt das: Im vergangenen Jahr drängte man sie zur Kündigung, man versuchte es mit einem Disziplinarverfahren. Aber sehen Sie, dieses wurde vorzeitig fallen gelassen. Was sagt uns das?
Für die Erhaltung des Museums der Geschichte der Stadt Sowjetsk werden wir vor Gericht kämpfen. Wir haben Anzeige erstattet, und über Schicksal des Museums wird das Gericht entscheiden, nicht die Stadtverwaltung in autoritärer Manier. Ja, die Stadtverwaltung als Eigentümerin kann jederzeit eine ihrer Einrichtungen liquidieren. Aber in diesem Fall sprechen wir nicht von irgendeiner Einrichtung, sondern von dem einzigen städtischen Museum. Sie sagen, sie hätten kein Geld für den Betrieb? Gut. Ich weiß, dass sich bereits interessierte Privatpersonen an die Direktorin gewandt haben, die bereit sind, das Museum finanziell zu unterstützen. Aus Gründen der Diskretion können wir ihre Namen nicht nennen, aber diese Personen gibt es«, sagt Dobralski.
»Mutabor«: Die ewige Verwandlung, Veränderung, Mutation
Die Kustodin des Museums der Geschichte der Stadt Sowjetsk führt uns in den hintersten Raum: »Ich zeige Ihnen unsere letzte Videoinstallation, wir haben sie in der Museumsnacht präsentiert. Sie ist nicht lang, nur fünf Minuten, schauen Sie sie sich bitte an!« In der Museumsnacht wurde hier eine Ausstellung der zeitgenössischen litauischen Künstlerin Ingrida Mockutė-Pocienė eröffnet: Eine Serie von Fotografien und ein Film unter dem gemeinsamen Titel »Mutabor«. Bei Hauff ist das ein Zauberwort, das Menschen in Tiere verwandelt und umgekehrt. Für die litauische Künstlerin ist es eines ihrer Lieblingsmotive, das eine Anleitung bedeutet, sich für eine freiwillige Veränderung zu entscheiden. Im Video ihrer Performance, das in einer verlassenen Kirche in Litauen entstand, in einem Städtchen unweit der Grenze, verhüllt die Künstlerin den Raum mit weißem luftigem Stoff, den sie von der Decke zum Eingang und zum Altar spannt.
»Auf diese Art versucht sie die Aufmerksamkeit der litauischen Obrigkeit auf den Zustand zu lenken, in dem sich dort die evangelischen und katholischen Kirchen befinden. Wissen Sie, wir haben ähnliche Probleme. Aber bei uns will sich aus irgendeinem Grund keiner damit beschäftigen«, erzählt die Kuratorin.
Zusammen mit der Museumsdirektorin gehen wir auf die Straße. Sie heißt Straße des Sieges. Die nächste Straße heißt Straße der Freundschaft – hier befindet sich das Freilichtmuseum. Es ist bei freiem Eintritt rund um die Uhr für den Besuch offen. Auf den Panzerfahrzeugen lungern Kinder herum, abends verbringen die Eltern hier ihre Zeit. Zum 9. Mai wurde die Ausstellung erneuert: Aus Tschernjachowsk wurde ein Bombenflugzeug des Typs SU-24T herbeigebracht. Zum Tag des Sieges wurde es himmelblau angemalt. »Unsere Technik schaut nach Litauen«, scherzt man in der Stadt. Wir gehen durch die frisch restaurierte Straße des Sieges. Am Haus mit dem Ritter vorbei – bei »Wikipedia« heißt es, dass es bis heute dem Zerfall preisgegeben ist, aber der Ritter, der das Dach trägt, ist gereinigt und glattgespachtelt. Am ehemaligen Kino »Königin Luise« vorbei – einem früher prachtvollen Barockgebäude, wo sich seinerzeit die Fachschule für Kultur befand, heute eine erstklassige Ruine, ohne Dach, die in den letzten Jahren mehrmals brannte. Wir kommen an die Lomonosow-Straße, die ehemalige Lindenstraße, hier befindet sich ein vierstöckiges Haus mit einem Türmchen und unzähligen dekorativen Schmuckelementen auf der Fassade. In der Stadt nennt man es das »Haus, in dem Armin Mueller-Stahl geboren wurde«. Mueller-Stahl ist ein bekannter deutscher Schauspieler und einer der Förderer des Museums.
In den Nachkriegsjahren war in dem Haus das Wohnheim für Studenten der Gebiets-Fachschule für Kultur und Kunst untergebracht. Seit der Schließung der Fachschule steht das Gebäude leer und zerfällt, obwohl es seit 2010 den Status eines Baudenkmals von lokaler Bedeutung hat. Die letzten Bewohner wurden geräumt, die Fenster sind eingeschlagen, die Türen verschalt.
»Im vergangenen Sommer wurde hier ein Film über den Krieg gedreht. Wissen Sie, noch nicht einmal Dekorationen brauchten sie zu bauen – auf Transparente druckten sie Ladenschilder und hängten sie an das Nachbarhaus«, sagte Anshelika Schpiljowa ironisch. Der Film heißt Die Straße nach Paris. Die großartigen Dekorationen für historische Filmaufnahmen sind offenbar das einzige, was die Stadtverwaltung in idealer Weise bewahrt. Und zwar mühelos und kostenlos.
Übersetzung aus dem Russischen von Klaus Harer